Stilikonen moderner Architektur in Knokke-Heist

Der belgische Badeort Knokke-Heist in direkter Nachbarschaft zu Cadzand-Bad an der Nordseeküste bietet neben den eher unattraktiven Appartementhochhäusern an der Promenade auch interessante, ungewöhnliche oder ikonische Architektur. Die Stadtviertel mit Ferienhäusern und Villen, die Hotels und das Grand Casino sind auch geprägt von internationalen Baustilen wie dem „Art Deco“, „De Stijl“ oder der „Moderne“. Über Belgien hinaus bekannte und renommiere Künstler und Architekten wie Henry van de Velde, Rene Magritte oder Niki de Saint-Phalle hinterliessen in der Architektur von Knokke-Heist ebenso ihre kreativen Spuren wie die von Le Corbusier beinflussten belgischen Architektenstars Huib Hoste und Léon Stynen.

Bei einem entspannten Spaziergang oder eine Radtour längs der Promenade oder im Villenviertel von Knokke-Heist abseits der typischen touristischen Pfade lernen Besucher die faszinierende Bauten und ihre Architekturgeschichte informativ und unterhaltsam kennen.

Doppel-Villa Noordhinder-Westhinder/Henry van de Velde

Wenn es nach dem  berühmten belgischen Architekten Henry van de Velde (1863-1957) gegangen wäre, hätte Knokke-Heist ganz anders ausgesehen. 1931 wurde Van de Velde vom Bürgermeister Knokke-Heists Maurice Lippens sr. gebeten, das Viertel De Lekkerbeck komplett neu zu gestalten: Der Traum eines jeden Architekten – in seiner Vision sah van de Velde schon ein strenges modernistisches Villenviertel, ein Hotel und einen Golfplatz – quasi das belgische Juwel der Architekturmoderne. Doch schon nach dem Entwurf und Bau der Doppelhaus-Villa „Noordhinder-Westhinder“ durch van der Velde wurde Lippens von seinen Mitstreitern in der „Compagnie Het Zoute“ zurückgepfiffen. Die modernistische Villa, eine Doppelresidenz für den Kaffeemakler Maurice Colman und den Künstler Albert Saverys, fanden sie so „schrecklich“, dass van der Velde keine weiteren Aufträge erhielt. Die beiden symmetrisch aneinander gebauten Villen stehen direkt an der Promenade mit Blick über Dünen, Strand und Nordsee von Knokke-Heist. Der Name der Villen bezieht sich auf die Lage zwischen den Rampen „Noordhinder“ und „Westhinder“ zwischen dem Zeedijk und der Kustlaan, die nach einer Sandbank in der Nordsee benannt sind.  Die Häuser fallen auf durch ihre ungestrichene dunkle Backsteinfassade mit erkennbaren Fugen sowie ihrem kubistischen Design und ihrer ausgeprägten Horizontalität. Adresse: Zeedijk-Het Zoute 835, 8300 Knokke-Heist.

Villa Nautilus-Arcadie, Villa Les Dauphins-Les-Nymphes/Léon Stynen

Einem Architekten ist nicht immer der Freibrief gegeben, seinen eigenen Stil umzusetzen. So erging es auch dem Antwerpener Architekten Léon Stynen (1899-1990), der bei einem Bauvorhaben in Knokke-Het Zoute sich streng an die örtlichen Bauvorschriften halten musste: Die beiden Doppelhaus-Villen im beschaulichen Poolspad 1-3 und 5-7 entstanden – ähnlich wie die benachbarten Häuser –  im typischen Landhausstil Knokkes mit traditionellem Fachwerk direkt unter dem Spitzdach. Obwohl Stynen als ein Vertreter der Architektur der Moderne eher für kubische Formen stand, so wie beim Grand Casino, das auch seinem Entwurf entstammte. Die Gebäude stehen seit 2004 unter Denkmalschutz. Adresse: Poolspad 1-3 und 5-7, 8300 Knokke-Heist

Spielhaus Le Dragon/Niki de Saint-Phalle & Jean Tinguely

Bei diesem versteckt liegendem Bau, müssen Besucher auf den Zehenspitzen stehen oder sogar springen. Ein Aufwand, der sich lohnt, denn was sich hinter dem Zaun des Privatanwesens  auf den Überresten des Forts Sint-Paulus (1627) verbirgt, ist ein ebenso unerwartetes wie ungewöhnliches Architekturobjekt: Ein großer, weißer Drache, der anscheinend im Garten liegt. Die Konstruktion aus Eisen, Keramik, Beton und Plexiglas mit einer Länge von 25 Metern und einer Höhe von sechs Metern ist das Spielhaus „Le Dragon“. Der Kunstsammler, Maler und Casinobesitzer Roger Nellens ließ es 1972 mit Spielzimmer, Küche, Bad und Schlafzimmern für seine Kinder bauen. Kreative Gestalterin war die französische Künstlerin Niki de Saint-Phalle (1930-2002), die Nellens auf der Dokumenta 1972 kennenlernte. Sie entwarf das amorphe Haus in Zusammenarbeit mit ihrem Lebenspartner, dem Schweizer Künstler Jean Tinguely (1925-1991), das damit das erste von ihr entworfene wirklich bewohnbare Haus ist.

Nellens umgab sich gerne mit talentierten Künstlern, so gelang es ihm auch 1987 den amerikanischen Künstler Keith Haring (1958-1990) davon zu überzeugen, einen Sommer mit ihm in Knokke zu verbringen. Keith Haring hielt sich drei Wochen lang im Grand Casino in Knokke-Heist auf und malte in dieser Zeit auf Wunsch von Roger Nellens das Wandgemälde. Auch Haring liebte es, im Le Dragon zu wohnen, so dekoriert Haring dort auch die Wand des Treppenhauses und des Balkons in seinem typischen figurativen Stil.

Aktuell soll um Le Dragon herum ein Museum entstehen, in dem der heutige Immobilienbesitzer und Bauunternehmer Bart Versluys seine eigene Kunstsammlung mit einem Schwerpunkt auf James Ensor unterbringen will. Dann könnte der ungewöhnliche Drachenbau wohl auch von der Öffentlichkeit besichtigt werden. Adresse: Zoutelaan 280, 8300 Knokke-Heist

,

Grand Casino Knokke/Léon Stynen

Dem „Grand Casino“ von Knokke gelingt der seltene Spagat, ein Anziehungspunkt für Spielfreudige, Gourmets, Unterhaltungssuchende und Kunstfreunde zu sein. Direkt an der Promenade mit Blick auf die belgische Nordsee gelegen bietet das größte belgische Casino neben 50 Spielautomaten und 18 Spieltischen sowie Gastronomie ikonische Architektur aus den 1930er Jahren. Der mächtige Bau im Zentrum von Knokke wurde von Léon Stynen geplant und vom Bauherrn und Casinounternehmer Josef Nellens nach einem Jahr Bauzeit 1930 eingeweiht. Das Casino in Knokke ist das erste Gebäude, das er baut, und auch sein erstes vollwertiges modernistisches Gebäude. Es verschaffte ihm den nötigen Ruhm, um später mehrere Kasinos nach seinen Entwürfen bauen zu lassen, wie das in Blankenberge (1932, in Zusammenarbeit mit den Architekten R. Speybrouck und G. Van Sluys), Chaudfontaine (1938) und den Casino-Kursaal in Ostende (1950-1952).

Die besonderen innenarchitektonischen Kleinode sind der „Margritte-Saal“ mit dem 72 Meter langen Gemälde „Le Domaine enchanté“ („Die verwunschene Gegend“) René Magritte, der „Kronleuchter-Saal“ mit dem beeindruckendem Deckenlüster, der 1953 als größter Kronleuchter Europas galt, dem „Bonaparte-Saal“ und dem „Flämischen Salon“…weiter… Adresse: Zeedijk-Albertstrand 509, 8300 Knokke-Heist

Hotel (Brasserie) Rubens/François Dens

1926 wurde der vielbeschäftigte Antwerpener „Art Deco“-Architekt François Dens beauftragt, das allererste Hotel am Albertstrand in Knokke-Heist zu entwerfen. Er plante und realisierte ein imposantes komplett freistehendes Gebäude auf einem noch unbebauten Dünengrundstück. Im Jahr 1933 wurde das Hotel vergrößert, indem der östliche, ursprünglich zurückgesetzte Teil an die Baufluchtlinie des bestehenden Baukörpers angebaut wurde. Im selben Jahr wurde auf der Westseite der so genannte Königsplatz angelegt, der später nach dem Hotel, das den Blick auf den dreieckigen Platz bestimmt, Rubensplatz genannt wurde. Das ikonische Hotel im Art Deco-Stil wurde während des Zweiten Weltkriegs beschädigt und 1948 teilweise restauriert. Im Jahr 1953 wurde das Hotel umgebaut, es entstanden Wohnungen und eine Brasserie. Wenn Besucher heute die Halle des Gebäudes betreten, atmen sie immer noch die ursprüngliche Pracht von Knokke in den „Roaring Twenties“ ein. Die Fresken im Inneren, die ganz dem Zeitgeist der 20er Jahre entsprechen, wurden übrigens erst 2006 gemalt. Adresse: Zeedijk-Albertstrand 589, 8300 Knokke-Heist

Zentrale der Strandwache ("Redderspaviljoen")/John Körmeling & Compagnie-O

Die markante Konstruktion der Zentrale der Rettungswache am Strand von Knokke-Heist, 2019 erbaut, ähnelt einer riesigen Gummi-Ente, ihr verdankt der Pavillon auch seinen Spitznamen. Die leuchtend gelbe Farbe soll von Weitem offensichtliche Sichtbarkeit gewährleisten, zum Beispiel für Kinder, die sich am Strand verirren. Die knallgelbe, auffallende Farbe und ungewöhnliche Konstruktion des Gebäudes ist wohl die DNA des niederländischen Architekten John Körmeling, dessen rosa Pavillon am Eingang des Antwerpener Middelheim-Museums ebenso Aufsehen erregt. Für die farbfröhliche Strandwachen-Zentrale hat er sich mit der Genter Agentur Compagnie-O zusammengetan. Vom Ausguck wie ein Krähennest an der Spitze des Pavillons blicken die Retter auf die elf Kilometer lange Küstenlinie in Knokke. Im Inneren befinden sich ein wassergrüner Erste-Hilfe-Posten, ein Vernehmungsraum der örtlichen Polizei und öffentliche Toiletten für Badegäste. Adresse: Zeedijk 660, 8300 Knokke-Heist

Zwart Huis/Huib Hoste

Neben den eher moderaten Gebäuden der belgischen Moderne sorgte das „Zwart Huis“ (Schwarze Haus) 1924 für ziemliches Aufsehen in der Küstenstadt Knokke-Heist. Der Stil des belgischen Architekten Huib Hoste (1881-1957) wird manchmal mit der Gestaltungsweise der niederländischen Vertreter der Moderne Piet Mondriaan (1872-1944) und Gerrit Rietveld (1888-1964) verglichen. So ist das Haus im Zentrum von Knokke-Heist praktisch das früheste Beispiel des Modernismus in Belgien unter dem Einfluß von „De Stijl“. Während Mondrian, Van Doesburg und Rietveld mit Linien und Flächen arbeiten, tut Hoste dies mit Volumen. Typisch für Hoste und seine moderne Architektur sind die Buntglasfenster und die monumentale Treppe; Einfachheit, Funktionalität, Geometrie und Farbe wurden zu seinem Motto. Das „Zwart Huis“ ist ein Zeitgenosse des Rietveld-Schroderhuis (1924) in Utrecht, das unter Denkmalschutz steht.

Der Bauherr und Arzt De Beir hatte den Mut, Hoste den Auftrag für sein Wohnhaus mit Praxis zu erteilen und ihm freie Hand im Entwurf zu lassen. Dr. De Beir war ein Liebhaber der modernen Kunst. Er wohnte mit seiner Familie in der Lippenslaan in Knokke; nach der Geburt eines sechsten Kindes wurde das Haus jedoch zu klein. Das Haus besteht aus drei Stockwerken mit einem geometrischen und funktionalistischen Volumen – jedes Stockwerk hat eine Funktion: Im Erdgeschoss befand sich ein Arbeitsraum, im ersten Stock ein „Wohnraum“ und im zweiten Stock ein Schlaf-/Nachtraum. Über der zentralen Treppe wurde das Buntglasfenster so angebracht, dass der Saal in der Mitte beleuchtet wird. Vor allem die Verwendung von Farben machte dieses Haus zu etwas Besonderem: Die Fassade wurde mit schwarzem Teer gestrichen. Die Terrakotta-Farbe des Sockels trennt die Arztpraxis optisch vom Haus; dies kann als eine Fortsetzung der Dünen interpretiert werden. Die breiten Fensterrahmen und der Fußboden im ersten Stock sind rot, die Fensterrahmen im zweiten Stock grün. Hoste hat dem Eingangsportal besondere Aufmerksamkeit gewidmet; es bildet quasi durch die Farbe ein ockerfarbenes Volumen in der Fassadenebene. Der Balkon über der Tür hatte die gleiche Farbe. Auch bei der Innenausstattung wurde mit Farben gespielt. Jedes Zimmer hatte eine andere Farbe; die Fensterrahmen im Erdgeschoss waren rot (Praxis), im ersten Stock waren sie schwarz (Wohnen) und im zweiten grau (Schlafen). Dadurch erhielten die Räume visuell unterschiedliche Tonalitäten entsprechend ihrer Funktionen.

Adresse: Dumortierlaan 8, 8300 Knokke-Heist.